Margarita Höhenrieder und Alfred Brendel nach einer Lesung Alfred Brendels in München, 2022, Foto privat

Über Alfred Brendel wurde Unzähliges zu Lebzeiten und auch nach seinem Tod geschrieben. Und trotzdem ist es mir ein Herzensbedürfnis, einige besonders schöne Erinnerungen über ihn und unsere langjährige, ungetrübte Freundschaft hervorzuholen und meine große Dankbarkeit und Wertschätzung diesem begnadeten Künstler gegenüber zum Ausdruck zu bringen.

Unsere erste Begegnung fand statt in der Provence vor etwa 35 Jahren. Ich sollte ihm ein Buch überbringen auf Bitte von Ernst Burger, dem international hoch geschätzten Liszt-, Chopin- und Schumann-Biographen. Brendel konzertierte zu dieser Zeit regelmäßig in München. Er hatte mir - zu meiner großen Freude - herzlich angeboten, mit ihm zu arbeiten, wenn er in München war. Ein paar Tage zuvor gab er mir meist Bescheid. Ich war natürlich begeistert über diese außergewöhnliche Chance! Voraussetzung hierfür waren top gestimmte Instrumente, am liebsten von seinem damaligen Lieblingsstimmer aus Berlin.

Unser gemeinsamer Weg führte uns in tiefste Schichten der Musik, zugleich aber auch oft in entscheidende Details: Brendel legte größte Aufmerksamkeit auf einen warmen Klang, auf eine äußerst differenzierte Dynamik, eine lebendige Phrasierung, sprechende Artikulation und auf ein gut überlegtes, manchmal auch ziemlich raffiniertes Pedal, v.a. bei Schubert. Seine Finger schienen beim Spiel außergewöhnlich locker und elastisch. Bei Synkopen bewegte Brendel bewusst jeweils den Ellbogen nach außen, so dass man diese nicht nur spüren, sondern auch sehen konnte.

Er setzte sich immer wieder in besonderer Weise mit Akzenten auseinander. Und sein „Timing“ war einzigartig, gerne spielte er bei Melodien die rechte Hand fast unmerklich nach der linken, um die Gesanglichkeit zu unterstützen - einzigartig! Wenn ich im Radio Klaviermusik höre ,kann ich bereits nach zwei bis drei Takten Alfred Brendel erkennen!! Wir arbeiteten vor allem an Klavierkonzerten und Sonaten von Mozart, Beethoven und Schubert.

Brendel hörte die Klaviermusik meist instrumental. Um ein Beispiel zu nennen, verbrachten wir viel Zeit für den letzten Satz der Sonate in a moll KV 310 von Mozart. Dieser sollte seiner Auffassung nach wie ein Bläserquartett und nicht wie ein Klavier klingen.

Alfred Brendel gab mir nicht nur entscheidende künstlerische Impulse, sondern er prägte auch meinen Unterrichtsstil an der Münchner Musikhochschule. Wir schrieben uns oft und herzlich. In seinen letzten Jahren ließ er mich wissen ,dass es ihm vor allem Freude bereite, mit jungen, begabten Streichquartetten zu arbeiten. Und er freute sich auch ganz besonders über meine „überzeugende” Einspielung der fünf Klavierkonzerte von Beethoven und der beiden von Chopin.

Mehrmals hatten wir gemeinsame Konzertprojekte. Zum Beispiel spielte ich beim Mozartfest in Augsburg mit seinem Sohn, dem Cellisten Adrian Brendel - Alfred Brendel las aus seinem Buch „Ermahnungen eines Mozartspielers an sich selbst” und aus eigenen Gedichten vor.

Brendel war ein großer Perfektionist. Natürlich besuchte ich viele seiner Konzerte. Wenn er mal nach einem Konzert nicht 100% zufrieden war, fragte er mich, ob ich nicht auch zu seinem Nächsten kommen könnte - das würde dann bestimmt noch besser!

Wir gingen ab und zu zum Essen und ich fand ihn außergewöhnlich spannend, kreativ, lehrreich, herzlich charmant, geistreich und auch ungemein humorvoll! Wir sprachen manchmal über seine Gedichte und Essays, die er veröffentlichte, aber auch sehr offen über private Dinge, wie z.B. die Schwierigkeit, Karriere und Familie zu vereinen.

Für mich war er nicht nur ein Jahrhundert-Pianist, Philosoph und Poet, sondern ein völlig authentischer und wunderbarer Mensch! Er lud mich zu sich nach London ein , wo ich ihn zusammen mit meinem Sohn besuchte.

Wenn Alfred Brendel meine Interpretationen lobte, dann brachte mich dies innerlich zum Strahlen. Als ich ihn einmal nach dem Unterricht fragte: „lieber Herr Brendel, warum schenken Sie mir eigentlich so viel von Ihrer kostbaren Zeit?“, antwortete er „das ist ganz einfach: weil ich Sie mag.“

Margarita Höhenrieder

München im Juni 2025

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